Mauro Covacich
Bora in San Luigi
Triest. Eine literarische
Einladung, Wagenbach
Stellt euch vor, ihr habt Glück. Stellt euch vor, der Winter holt
zum letzten Schlag aus: Ihr seid zu einem Frühlingsspaziergang aufgebrochen
und nun steht ihr plötzlich inmitten von Windböen, die mit
hundertzwanzig Sachen heranrauschen. So sollte es an diesem 11. April
aber nicht laufen, denkt ihr, während ihr in irgendeiner Unterführung
oder Ladenpassage mit den Zähnen klappert. Und doch habt ihr Glück,
ihr erlebt nämlich gerade die Bora. Also: nicht verzagen! Geht ins
erstbeste Kaufhaus (wenn ihr knapp bei Kasse seid, von mir aus auch in
irgendeinen Chinesen-Laden), kauft eine Windjacke und kommt mit mir.
Die Bora ist wohl die meistbeachtete Sache in Triest, zumindest vonseiten
der Medien. Jedes Mal wenn sich ein spürbarer Wetterumschwung ereignet,
warnt man im Telegiornale gleich vor einem „Kälteeinbruch“,
und in einem Schnelldurchlauf der am schlimmsten betroffenen Städte
kommt dann die unvermeidliche Liveschaltung auf den windgepeitschten
Molo Audace, wo der genauso unvermeidliche Reporter verkündet: „Bora
in Triest.“ Im Filmbeitrag sieht man die immergleichen alten Männer,
die sich an irgendwelche Geländer klammern, die immergleiche Dame,
die mit ihrem umgeklappten Schirm kämpft, die immergleichen Gischtkronen
auf dem wild gewordenen Meer. Lustig ist dabei nun nicht nur, dass es
sich wahrscheinlich seit zwanzig Jahren in allen Nachrichtensendungen
um denselben Film handelt, sondern dass es, wenn er ausgestrahlt wird,
in Triest gar keinen Kälteeinbruch und schon gar keine Bora gibt.
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